KULTURKRITIK

Alles ist eins

TEXT: JONS MAREK SCHIEMANN

Die Vergangenheit mit ihren Sünden und ihrer Schuld prägt das Verhalten für das Jetzt. Und das weist auf die Zukunft, in der die Schuld abzutragen ist. Bei niemandem der Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts wird das so deutlich wie bei William Faulkner. Faulkners schwierige grammatikalische Konstruktionen und lange Sätze umfassen verschiedene Erzählzeiten. Dadurch wird der Zugang zu Faulkners Prosa zwar erschwert, steht aber immer im Dienste der Erzählung. Indem Faulkner die Zeiten vermengt macht er die Beziehung der Figuren untereinander deutlich. Kein Schicksal einzelner Personen ist für sich allein zu nehmen, sondern steht immer in Beziehung zu anderen. Dadurch wird auch über die Zeit ein Netzwerk gebildet, welches insbesondere Familien betrifft. 

Das Buch „Go down, Moses“ ist leichter zu lesen als andere Werke Faulkners. Nichtsdestotrotz verlangt es große Aufmerksamkeit. Obwohl das Buch ein Roman ist, verzichtet es auf eine klare zeitliche Abfolge. Verschiedene Erzählungen bilden als Zyklus den Roman und erzählen die Chronik und den Verfall der amerikanischen Südstaatenfamilie der McCaslin.

Vor allem die geniale Erzählung „Der Bär“ drückt Faulkners Philosophie aus: Kritik an dem technischen Fortschritt, Loblied auf die Natur, die Tugenden des Herzens, Glauben, aber auch die Schuld, welche die Menschen aneinander kettet.

Besonders die Schuld zieht sich wie ein roter Faden durch Faulkners Werk und wird in „Go down, Moses“ besonders deutlich: die Schuld des weißen Mannes, den Indianern das Land geraubt und die Schwarzen versklavt zu haben. Dies ist der Fluch unter dem die herrschende weiße Klasse ihr Leben lang zu leiden hat. Das Schicksal der Weißen wie der Roten und Schwarzen ist untrennbar in ein Netzwerk verknüpft, das sich auch auf die einzelnen Individuen auswirkt. Insbesondere durch Faulkners Kunstgriff einigen Personen Anteile verschiedenen Blutes zu geben (ein Indianer ist zugleich Sohn einer schwarzen Sklavin und eine Abstammungslinie der Familie McCaslin ist Schwarz: von dem Stammvater der Familie inzestuös gezeugt) wird das besonders deutlich.

Doch nicht nur in zeitlicher und familiärer Hinsicht herrschen in dem Buch die Netzwerke. Vor allem in den Erzählungen die sich mit der Jagd befassen, kommt der Netzwerkgedanke zu tragen. Indem der junge McCaslin sein erstes Wild schießt und damit erwachsen wird, lernt er nicht nur Verantwortung, sondern auch Respekt für die anderen. Durch die Jagdgemeinschaft erfahren die Teilnehmer eine Zusammengehörigkeit die sich auf Bereiche des täglichen Lebens auswirkt; vor allem in geschäftlicher Hinsicht. So wird das Freizeitvergnügen zu einer Gelegenheit Beziehungen zu knüpfen.

Ist der Roman „Go down, Moses“ zwar nicht der einfachste von William Faulkners Romanen bietet er doch den idealen Einstieg in das Werk, in die Sprache und die Philosophie eines der größten literarischen Genies des letzten Jahrhunderts. Er ist es allemal wert, neu entdeckt zu werden.

Go down, Moses von William Faulker.
Erschienen bei Vintage Books USA, 365 Seiten.



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AUSGABE 31
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